Entschleunigtes, glückliches Leben

E
[19] Denkt daran, meine lieben Brüder und Schwestern: Jeder Mensch soll schnell bereit sein zuzuhören. Aber er soll sich Zeit lassen, bevor er selbst etwas sagt oder gar in Zorn gerät.

 [20] Denn der Zorn eines Menschen bewirkt nichts, was vor Gott als Gerechtigkeit gilt.

[22] Hört das Wort aber nicht nur, sondern setzt es auch in die Tat um. Sonst betrügt ihr euch selbst.

 [23] Wer das Wort hört, aber nicht danach handelt, ist wie jemand, der sein Gesicht im Spiegel betrachtet:

 [24] Er schaut sich an, geht weg und vergisst sofort, wie er aussieht.

 [25] Ganz anders ist es, wenn sich jemand anhaltend in das vollkommene Gesetz vertieft – das Gesetz, das uns frei macht.

Er vergisst nicht sofort, was er gehört hat, sondern setzt es in die Tat um. Ein solcher Mensch wird glückselig sein bei dem, was er tut.   

 [26] Manch einer meint, fromm zu sein. Wenn er aber seine Zunge nicht im Zaum hält, macht er sich selbst etwas vor. Seine ganze Frömmigkeit ist nichts wert.

 [27] Zu einem frommen Leben gehört: Waisen und Witwen in ihrer Not beizustehen und sich vom Treiben dieser Welt nicht anstecken zu lassen. Ein solches Leben steht vor Gott, unserem Vater, rein und makellos da.

/Jakobus 1, 19-20. 22-27)

Liebe Gemeinde,

Eigentlich sind dies wunderbare Vorsätze. Man könnte sie aufschreiben, sich diese als Neujahrswunsch aufnehmen, oder sonst sich selber als Lebensaufgabe zuschreiben. Man soll zuhören, hörten wir eben aus unserem Bibeltext. Ich frage mich, ob wir dies können? Sicher, es ist so, dass man hört, was andere Menschen sagen, aber hören wir ihnen richtig zu? Das ist schon eine ganz andere Sache. Zuhören heisst nämlich nicht nur, dass man die Worte und Vokabeln genau hört, sondern auch, dass man darauf achtet, was der andere damit kommunizieren will. Das ist dann die weitaus schwierigere Sache. Oft ist es nämlich so, dass wir nur oberflächlich hören, was Menschen uns mitzuteilen haben und denken gar nicht daran, tiefer zu graben. Ein gelingendes menschliches Miteinander braucht aber ganz sicher, dass wir zumindest versuchen, zu verstehen, was den anderen Menschen bewegt. Ich frage mich, wo der Denkfehler von uns liegt, wenn wir der Meinung sind, dass wir gut zuhören, um dann feststellen zu müssen: Wir lagen falsch. Der andere Mensch hat ganz andere Bedürfnisse. Er will uns etwas ganz anderes mitteilen, als wir gemeint haben.

Zuhören heisst, im Sinne der Bibel, dass man den anderen Menschen ernst nimmt auch dann, wenn dies nicht eine leichte Lebensaufgabe ist. Allerdings haben wir hierfür ein Lebensbeispiel, welches uns die Evangelien überliefert haben. Wir haben das Lebensbeispiel von Jesus von Nazareth vor uns, der uns oft gezeigt hat, was es heisst, dem Menschen wirklich zuzuhören. Der Verfasser des Jakobusbriefes weiss um die Schwierigkeit des Zukörenkönnens. Deshalb fügt er für uns ein Beispiel an. Es geht darum, dass man sich hüten sollte voreilig etwas zu sagen, oder gar in Zorn zu geraten. Seien wir aber mal ehrlich: wie oft geschieht mit einem jeden von uns, dass wir Sachen sagen, die vielleicht nicht «sooo» gemeint waren, die aber andere ganz tief verletzen können? Ganz zu schweigen ist diesbezüglich über die Zornausbrüche.

Ein jeder Mensch hat das Recht, dass wir ihn in seiner Besonderheit sehen, seine Wünsche und Vorstellungen vom Leben ernst nehmen und respektieren. Zu einem gelingenden Leben im Sinne Jesu gehört dies unmittelbar dazu. In der Bibel haben wir die Seligpreisungen. Sie fassen genau zusammen, was wichtig ist, um glücklich leben zu können. Um glücklich leben zu können, braucht man nämlich immer die innere Ruhe und Zufriedenheit, die Sicherheit, dass es Menschen gibt, die uns wohlwollend gegenüberstehen. Glücklich zu sein ist allerdings leider kein Dauerzustand des Menschen, aber man darf daraufhin arbeiten, dass diese innere Ruhe und Zufriedenheit unser Leben bestimmen.

Alles fängt damit an, und dies zeigt uns unser heutiger Predigttext deutlich, dass der Mensch bereit ist, ein Stück weit auf den anderen zuzugehen. Der Rat, den uns der Verfasser des Predigttextes gibt, ist deutlich: Nehmt euch Zeit! Nehmt euch Zeit, auf die anderen zu achten, denn so könnt ihr etwas im Leben bewirken, und zwar in dem Sinne, dass sich etwas zum Guten in Euren Leben ändert.

Das Problem ist ja gerade, dass wir uns diese so nötige Zeit ganz oft nicht nehmen. Wir meinen, auch ohne das auskommen zu können. Unser Predigttext bringt uns auch hier ein eindrückliches und alltägliches Beispiel. Es geht darum, ob der Mensch sich daran erinnern kann, wie sein Gesicht am Morgen im Spiegel ausgesehen hat. Als ich diese Zeilen aufgeschrieben habe, habe ich versucht, mir mein eigenes Gesicht von heute Morgen in Erinnerung zu rufen… Ich scheiterte dabei kläglich. Ich meine, dass sich die meisten von uns vermutlich nicht daran erinnern können, wie wir am Morgen ausgesehen haben. Ist ja auch nicht so wichtig- denke ich und denken vermutlich die meisten von Ihnen.

Was aber, wenn dieses Bild vom Vergessen doch eine grössere Bedeutung hat? Was aber, wenn es im Grunde darum geht, dass ich mein Leben nicht bewusst wahrnehme? Zu einem gelingenden Leben gehört nämlich – im Sinne Jesu – dazu, dass ich dieses Leben nicht nur lebe, sondern bewusst wahrnehme. Die Entscheidungen, die ich fälle, die Taten, die ich unterlasse, haben Auswirkungen auf das Leben selbst. Dies sollte man, sollten wir alle nicht vergessen.

Anderseits ist es natürlich so, dass wir manches im Leben gerne verdrängen unter dem Motto: Aus den Augen, aus dem Sinn… Es gibt Sachen im Leben, mit denen wir uns nicht beschäftigen wollen. Wenn aber diese Sachen sich anhäufen und ihr Tragen immer schwerer wird, so verstellen sie unsere Optik und Wahrnehmung auf das Leben selbst. Diese verstellte Optik macht uns dann zu Gefangenen der eigenen Vorstellungen und Wünsche.  Ich habe mit Konfirmanden einaml über das Thema «Glück» gearbeitet. Eine der Konfirmandinnen hat unter das Thema «glücklich sein» das Wort «Entscheidungsfreiheit» geschrieben. Dieser Begriff gibt mir zu denken. Im Sinne der Bibel, wenn ich Gefangener meiner Optik bin, so geht es gar nicht mehr um freie Entscheidungen. Da sind die Wege und Bahnen vorprogrammiert. Ich kann nicht aus diesem Käfig heraus. Genau aus diesem Grund ist es wichtig, darauf zu achten, was in unserem Predigttext deutlich herüberkommt: Frei und damit glücklich ist der Mensch nur dann, wenn er die eigenen Entscheidungen so fällt, dass er bereit ist zuzuhören, den anderen ernst zu nehmen und dabei das eigene Leben bewusst zu leben. Der Spiegel allerdings, den wir im Leben vor Augen gestellt bekommen, ist oft verzerrt. Auch davon weiss unser Predigttext. Aus dem Grund wird da deutlich gemacht, was der Mensch denn leisten kann, oder leisten soll, um gottgefällig zu leben.

Es geht darum, dass die Forderungen von Jesus aus der Bergpredigt nicht in einem allgemeinen «du sollst» untergehen sollen, Genauso wenig darf es aber auch passieren, dass der Mensch in einen Aktivismus verfällt. Vielmehr geht es darum, bewusst Entscheidungen zu treffen, das Leben so und nicht anders leben zu wollen.

Wenn wir uns genau überlegen, so müssen wir zugeben, dass wir ganz oft in eine Form von Aktivismus verfallen. Oft denken wir: «Jetzt muss aber was gemacht werden!» und denken gar nicht weiter darüber nach, ob dies dem anderen Menschen dient oder nicht. Wenn unser Tun Anlass zur Selbstberuhigung wird und unsere Taten zu einem mehr, oder minder sinnlosen Aktivismus führen, so hat unser Leben das Ziel verfehlt.

Damit das nicht passiert, damit unsere Frömmigkeit glaubwürdig bleibt, und wir in der Welt freier leben können, haben wir ein Korrektiv zur Verfügung. Der Jakobusbrief weist eindrücklich auf dieses Korrektiv hin. Dieses Korrektiv ist das Gesetz Gottes. Das kann und darf man aber wiederum nicht im Allgemeinen verstehen. Es geht doch darum zu sehen, dass Gott selber immer konkret ist und aus dem Grund fordert er von uns ganz konkrete Taten.

Vom Treiben dieser Welt nicht anstecken zu lassen, bedeutet die Einhaltung des Gesetzes. Man kann es auch anders formulieren, und dies zusammenzufassen mit einem Modewortbegriff: Entschleunigung, also: Entschleunige Dein Leben! Doch, dies ist nicht und darf nicht Selbstzweck sein. Ein entschleunigtes Leben hat Augen für andere. Ein entschleunigtes Leben hat die Ruhe, welche wir für unsere zwischenmenschlichen Beziehungen nötig haben.

In unserem Predigttext haben wir zwei konkrete Beispiele, woran sich die glaubwürdige Frömmigkeit halten soll. Es geht darum, die Witwen und Waisen nicht aus den Augen zu verlieren. Wenn man die Bedeutung des Satzes für unsere moderne Welt übersetzen möchte, so könnte man dies so formulieren: Eine glaubwürdige Frömmigkeit hat Augen für jene, die am Rande unserer Gesellschaft leben, für jene, deren Leben nicht gerade gut läuft, für jene, die besonders verletzlich sind.

Wir alle wollen glücklich sein. Wir wollen frei unsere Entscheidungen fällen. Wir wollen uns verwirklichen, ohne Rücksicht auf Verluste. Gerade hier leitet unser Predigttext eine Notbremsung ein und mahnt, dass wir dies ruhig langsamer nehmen können. Gott hat uns ein Beispiel gegeben, Jesus hat uns ein Leben vorgelebt, wie dies gelingen könnte…

Wenn man aktiv wird und die besonders Verletzlichen nicht aus den Augen verliert, wenn man bewusst lebt und bewusst anders lebt als die Hektik dieser Welt, so ist man im Sinne der Bergpredigt und im Sinne unseres Bibeltextes glaubwürdig und damit auch glücklich.

Amen

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