(Predigt gehalten in der Kirche Vordemwald am Palmsonntag 2025)
[4] Gott, der Herr, nimmt meine Zunge in die Lehre.Als sein Schüler kann ich dem Erschöpften ein Wort zusprechen, das ihm Mut macht. Jeden Morgen öffnet er mir die Ohren. So kann ich auf ihn hören, wie ein Schüler auf seinen Lehrer hört.
[5] Gott, der Herr, hat mir die Ohren geöffnet. Ich habe mich nicht verschlossen und mich seinem Auftrag nicht entzogen. [6] Als sie mich schlugen, habe ich ihnen den Rücken dargeboten. Als sie mir den Bart ausrissen, habe ich meine Wangen hingehalten. Mein Gesicht habe ich nicht verhüllt, als sie mich beschimpften und anspuckten. [7] Aber Gott, der Herr, steht mir bei. Darum lasse ich mich nicht einschüchtern.Ich mache mein Gesicht hart wie einen Kieselstein. Denn ich weiss, dass ich nicht enttäuscht werde.
[8] Gott ist mir nahe, er setzt mein Recht durch. Wer will mich denn noch anklagen?Der soll ruhig mit mir vor Gericht ziehen! Wer will mein Recht anfechten? Der soll nur kommen!
[9] Ja, Gott, der Herr, steht mir bei. Wer will mich da noch verurteilen? All meine Gegner zerfallen wie ein Kleid, das von Motten zerfressen ist.(Jes. 50, 4-9)
Liebe Gemeinde,
Der Palmsonntag ist der Höhepunkt auf dem Weg Jesu Richtung seiner Bestimmung. Er wird als König gefeiert, als der politische Erlöser, den man so lange herbeigesehnt hat. Er, der Wunderrabbi aus Nazareth, soll es richten! Er soll endlich Gerechtigkeit und Recht walten lassen und der ganzen Welt zeigen, dass Gott sein Volk nicht vergessen hat, dass seine Versprechen immer noch gültig sind! Doch so schön auch die äusseren Umstände des Festes sein mögen, so schwierig ist das Gesamtpaket. Die diversen Erwartungen, die an Jesus gestellt werden, kumulieren am Palmsonntag. Das wirft einen dunklen Schatten auf das ansonsten so grossartige Fest. Die Menschen, die dort am Strassenrand stehen, werden einige Tage später ohne nachzudenken “kreuzige ihn” rufen. Erfüllt jemand nicht ihre Vorstellungen, fühlen sie sich bedroht und enttäuscht und wollen nur noch eins, nämlich, dass Jesus aus ihrem Blickfeld verschwindet.
Doch noch ist es nicht so weit, auch wenn die Vorwehen dieses Sturms vielleicht schon zu spüren sind. Noch ist Jesus derjenige, der inmitten der Menge schreitet, umgeben von so vielen Menschen und letztlich doch allein, als der Menschensohn.
Was sagt uns aber an diesem Fest der Bibeltext, den wir als Predigttext gehört haben? Der vorgelesene Bibeltext stammt aus der Reihe der sogenannten Gottesknechtlieder aus dem Jesajabuch. Darin kommt in poetischer Form zur Sprache, was der Auftrag des Gottesknechtes sei, der als Gesandter seines Gottes in dieser Welt auftritt.
Ich denke, es lohnt sich, einen Blick darauf zu werfen, was dieser Gottesknecht macht. Er hat die Aufgabe, seinem Volk die Verheissung Gottes zu verkündigen und stösst dabei, wenn auch nicht immer auf taube Ohren, doch sicherlich immer wieder auf Menschen, die alles andere als diese Verheissung hören möchten. In unserem Bibeltext wird ein besonderer Akzent darauf gelegt, dass der Knecht Gottes seinen Auftrag von Gott bekommt als Lebensauftrag und die Kraft dazu jeden Tag neu von Gott kommt.
Ich meine, wenn wir uns ernsthaft überlegen, wie wir leben, ist diese Aussage gar nicht so weit von unserer Lebenswelt und Lebenserfahrung entfernt. Wer eine Aufgabe und ein Ziel im Leben hat, der soll und will sie konsequent durchführen. Dies aber kostet immer wieder neue Kraft und Energie. Dabei sich selber nicht zu verlieren, nicht resigniert aufzugeben, ist eine wahre Lebenskunst. Ich denke vor allem daran, dass wir in unserem Leben mit diversen Erwartungen konfrontiert werden. Diese Erwartungen sind in den verschiedenen Phasen unseres Lebens jeweils anders artikuliert, aber eins haben sie gemeinsam: sie setzen uns auf jeden Fall Massstäbe. Mit diesen Massstäben im Leben umzugehen ist nicht immer einfach, manchmal geradezu eine Herausforderung. Das Leben von Jesus von Nazareth liefert uns immer wieder eindrucksvolle Beispiele dafür, dass dies keine leichte Aufgabe ist. Es scheint oft einfacher zu sein, nachzugeben und das zu machen, was man von einem erwartet, das zu sagen, was die Menschen von einem hören möchten, anstatt konsequent dafür einzustehen, was im Leben eigentlich wichtig ist.
Der Gottesknecht aus unserem Predigttext weiss davon und eröffnet uns eine neue Perspektive. Er zeigt uns auf, dass die Kraft zur Erfüllung des Auftrags durch Reden und Hören kommt. Der Mensch, der in seinem eigenen Leben verloren Orientierung und Halt sucht, kann sich darauf verlassen, dass Gottes Wort ihm ein sicheres Entscheidungsfundament im Leben bietet. Dieses Fundament hat einen klar definierten Zweck: Es soll Kraft gegen die Niedergeschlagenheit bedeuten. Es soll den Mutlosen Mut zusprechen. Das war, ist und wird nie ein leichtes Unterfangen sein. Das Leben von Jesus zeugt davon, dass er immer wieder zu den Menschen gegangen ist, die Mut gebraucht haben. Auf den Strassen von Jerusalem waren damals sicherlich so einige Menschen anwesend, die Lebensmut gebraucht haben. Verfangen und gefangen in mancherlei Verstrickungen hat das Volk Israel Mut gebraucht, richtig zu handeln.
Ich denke, dies ist der Punkt, an dem sich die Lebenswelt der Bibel und unsere moderne Lebenswelt berühren. Denn auch wenn die Umstände sich sehr verändert haben, Mut braucht auch der heutige Mensch. Gottes Angebot an uns ist, dass er uns gerade diesen Lebensmut schenken möchte. Interessant ist hierbei, dass der Knecht Gottes so auftritt, dass die Menschen ihn sehen können. Deutlich wird dies in dem Bericht vom Einzug Jesu in Jerusalem. Dort kommt er inmitten vieler Menschen allein durch, für alle sichtbar, als ein Zeichen der Verheissung Gottes. Dass diese Verheissung nicht so erfüllt wird, wie die Menschen es möchten, liegt in der Natur der Sache. Der lebendige Gott lässt sich nicht instrumentalisieren in dem Sinne, dass er das machen würde, was man als Mensch von ihm erwartet. Tritt man mit menschlichen Erwartungen an Gott heran, so geschieht genau das, was in der Passion erfolgt: Gott wird als Störfaktor eliminiert, weil er nicht in die vorgefassten Gefässe des Menschen passt.
Gerade aber, weil Gott nicht in vorgefassten Gefässen passt, kann er dem Menschen Lebensmut zusprechen, sofern dieser bereit ist, auf ihn zu hören.
In unserem Predigttext haben wir eine Reihe von Aussagen, die alle darauf hinzielen, dass der Weg des Menschen mit Gott nicht ein leichter ist. Nichtsdestotrotz bleibt für den Menschen keine andere Möglichkeit, als sich darauf zu verlassen, dass die Verheissungen Gottes gültig sind und ihre Gültigkeit nicht verloren haben.
Der einsame Jesus auf der Strasse von Jerusalem macht deutlich, worum es Gott mit uns Menschen geht. Er möchte ein sichtbares Zeichen setzen, dass er es ernst mit uns meint.
Der Knecht Gottes hat Kraft. Er hat die Kraft, diversen Missständen im Leben standzuhalten, weil er in einer ununterbrochenen Hör- und Empfängergemeinschaft mit Gott ist. Ich denke, auch das ist es, was wir gut nachvollziehen können, wenn wir daran denken, wie hilfreich in diversen Situationen des Lebens es sein kann, wenn man Ratschläge von jemandem bekommt, der zwar mit einem selbst verbunden ist, aber nicht in derselben Situation steckt und damit das Problem auf einer Sachebene betrachten kann. Gottes Angebot an uns bietet uns gerade diese Chance. Er ist zwar durchgehend solidarisch mit uns. Er bietet uns aber einen anderen Blick auf das Leben an als bis anhin. Ich denke, dies ist ein Angebot, das man sicherlich ernst nehmen sollte. Die Gemeinschaft bedeutet eine tiefe Verbundenheit. Jesus stand in dieser tiefen Verbundenheit mit dem Vater. Auch der Gottesknecht redet von dieser Verbundenheit.
Wenn wir jetzt am Palmsonntag an die Botschaft des Gottesknechtes denken, lohnt es sich darauf zu schauen, was seine Botschaft uns sagen kann.
Ich denke, wir können daraus sicher entnehmen, dass wir mit der Gewissheit im Leben gehen können, dass Gott uns immer wieder und ununterbrochen zur Seite steht, uns hilft und unterstützt in den diversen Lebenslagen.
Die Menschen in Jerusalem am ersten Palmsonntag wollten, dass Gott ihnen hilft, aber sie wollten es so, wie sie es sich vorgestellt haben. Gott soll so handeln wie gewünscht.
Jesus von Nazareth hat aber von etwas anderem gezeugt. Der Gottesknecht von Jesaja weiss dies auch ganz genau. Es geht darum zu sehen, dass es ein Unterschied ist, ob man von Gott die Hilfe erbittet im Wissen, dass Gott mit dem Menschen unterwegs ist, oder ob man von Gott Hilfe erwartet unter dem Motto «Es sei schliesslich Gottes Job, dem Menschen zu helfen».
Das Wissen, dass Gott dem Menschen uns allen beisteht, kann die schwierigen Situationen im Leben erleichtern. Der Gottesknecht redet in unserem Predigttext davon, dass die Gewissheit, dass Gott ihm beisteht, Kraft und Lebensmut bedeutet. Das Wissen, dass ich als Mensch nicht alles im Leben allein tragen muss, das Wissen, dass wir in Gott einen Weggefährten haben, bereichert das Leben des Menschen. Die beengten und beengenden Perspektiven des Lebens verlieren so ihre absolute Kraft. Es eröffnen sich neue Perspektiven für den Menschen. Das Wissen, dass Gott dem Menschen beisteht, bedeutet für den Gottesknecht nicht nur eine Kraftquelle. Es macht möglich, dass er mit einem Selbstvertrauen ins Leben schauen kann. Er vertraut darauf, dass er getragen wird, dass er niemals allein ist, dass er auf Gott zählen kann. Ich denke, dies ist auch ein Wissen, welches uns das Leben erhellen kann.
Am Palmsonntag schauen wir zurück und zugleich auch vorwärts: Zurück auf den Weg, welcher der Menschensohn mit uns Menschen gegangen ist und vorwärts auf Karfreitag und Ostern, die uns deutlich machen, dass Gottes Kraft uns hält und uns Leben sichert. Ich denke, das erhellende Wissen von Gottes Kraft, welche auch den Gottesknecht von Jesaja hat erleben dürfen, kann auch für uns ein guter Begleiter sein nicht nur in der Passionszeit, sondern darüber hinaus.
Unser Predigttext legt einen besonderen Akzent darauf, wie der Knecht Gottes agiert. Er hört und redet und schafft somit Sicherheit und Stabilität für sein Volk. Der Gottesknecht versteht sein Volk. Ich denke, wenn wir am Palmsonntag an Jesus von Nazareth denken, so tut es gut, sich daran zu erinnern, dass er der Gesandte Gottes war, der sein Volk immer schon verstanden hat. Das hat sich auch für uns moderne Menschen nicht verändert: Gottes Kraft bietet auch uns ein Fundament. Auch wir können davon ausgehen, dass er uns versteht und uns beisteht. In unseren Bemühungen, die richtigen Entscheidungen zu fällen, steht uns Gott bei, steht er an unserer Seite … auch heute noch.
Amen