Bewahrt einen klaren Kopf!

/Predigt gehalten in der Stadtkirche Zofingen am 15. Sonntag nach Trinitatis, am 28.09.2025/

[5b]  Für euch alle gilt: Euer Umgang miteinander soll von Demut geprägt sein. Denn Gott stellt sich den Hochmütigen entgegen, aber den Bedürftigen schenkt er seine Gnade.

[6] Beugt euch also demütig unter Gottes starke Hand. Dann wird er euch groß machen, wenn die Zeit dafür gekommen ist.

[7] Alle eure Sorge werft auf ihn, denn er sorgt für euch.

[8] Bewahrt einen klaren Kopf, seid wachsam! Euer Feind, der Teufel, streift wie ein brüllender Löwe umher. Er sucht jemanden, den er verschlingen kann.

[9] Leistet ihm Widerstand, indem ihr am Glauben festhaltet! Ihr wisst, dass eure Brüder und Schwestern in dieser Welt die gleichen Leiden ertragen müssen.

[10] Gott hat euch in seiner großen Gnade dazu berufen, an seiner ewigen Herrlichkeit teilzuhaben. In der Gemeinschaft mit Christus habt ihr Teil daran. Nur für eine kurze Zeit müsst ihr leiden. Dann wird er euch wieder aufrichten und stärken, euch Kraft verleihen und euch Halt geben.

[11] Ihm gehört die Macht für immer und ewig. Amen.

(1 Petr 5, 5b-11)

Liebe Gemeinde,

In der Kirche, in der ich als Kind regelmässig die Gottesdienste besucht habe, gibt es sehr schöne Deckenkassetten aus dem 17. Jahrhundert, alle kunstvoll bemalt. Ich habe als Pfarrerskind ziemlich viel Zeit in der Kirche verbringen müssen, wenn mein Vater Gottesdienst hatte. Somit habe ich viel Zeit gehabt, diese Malereien zu studieren. Manche waren mir lieber als andere. Da es eine reformierte Kirche war, gab es darin nur nonfigurative Abbildungen. Da waren also höchstens Blumen zu finden. Doch eine Ausnahme gab es: Es gab ein Bild mit einem Löwen und mit der Inschrift aus 1. Petrus 5,8 – ein Teil unseres heutigen Predigttextes.

Nun, ich glaube, ich muss Ihnen nicht begründen, warum ich als Kind so fasziniert von dieser Abbildung war. Es war etwas anderes als das, was ich sonst in der Kirche zu sehen bekam. Meine kindliche Fantasie ging auf weite Reisen. Ich habe mir vorgestellt, wie denn dieser brüllende Löwe wirklich aussieht, wie gefährlich dies für uns Menschen ist. Das Bild hat mich fasziniert.  Ich habe es trotzdem beinahe vergessen .– Als ich diesen Bibelvers für die Vorbereitung las, ist es mir wieder eingefallen. Damit verbunden sind so manche Erinnerungen daran, wie ich mir diesen Löwen vorgestellt habe, wie ich so manche Auseinandersetzungen gegen ihn gewann als Held – zumindest in meiner Fantasiewelt.

Ich habe Ihnen diese Erinnerung nur erzählt, um damit verdeutlichen zu können, dass das Böse, das Schlechte und ganz speziell das personifizierte Böse uns Menschen fasziniert. Wir wollen das Böse besiegen. Wir wollen Heldinnen und Helden der Geschichte sein, aber am besten wirklich so, dass es einen garantierten Sieg geben soll. Nun, diesen Sieg gibt es im Alltag nicht, oder er sieht oft nicht nach einem Sieg aus. Und dennoch, die Faszination bleibt und damit verbunden auch die Frage, wie wir uns als Christinnen und Christen zu verhalten haben.

Der Brief, aus dem unser Predigttext stammt, ist zu einer Zeit geschrieben worden, als die christliche Kirche allerlei grossen Herausforderungen ausgesetzt gewesen ist. Sie hatte jeden Tag für ihr Dasein kämpfen müssen, und dies in einem eher feindlichen Umfeld. Dabei den Mut nicht zu verlieren, nicht aufzugeben und sich auf Gott zu verlassen, war eine grosse Herausforderung.

Doch wie kann das gelingen, fragt sich der heutige Mensch.

Dazu haben wir in unserem Bibeltext einige Hinweise. Es geht vor allem darum, zu sehen, dass die Zugehörigkeit zu Jesus ein ganz anderes Denken und Handeln impliziert. Für den Verfasser des Briefes ist es klar: Wenn jemand sich zu Jesus Christus zugehörig fühlt, so bedeutet dies ein Umdenken und eine neue Haltung im Leben. Worin soll sich dies manifestieren? Nun, vor allem und in erster Linie darin, wie man mit den Mitmenschen umgeht. Es ist klar, dass jemand, der in dieser Welt lebt, ständig mit neuen, zum Teil unbequemen oder gar lästigen Herausforderungen konfrontiert wird. Dies gehört ja zum Leben dazu, aber es ist nicht einerlei, wie wir damit umgehen. Und ich denke, es fängt alles genau damit an: Wie gehe ich mit gewissen Herausforderungen im Leben um? Es gibt gleich so viele Umgangsstrategien wie Menschen. Auf die zum Teil wirklich bösartigen Herausforderungen im Leben können die Menschen ganz verschieden reagieren. Einige werden böse, andere ängstlich, wieder andere aggressiv, und die Reihe kann ganz beliebig fortgesetzt werden. Aber eines ist sicher klar: Man reagiert irgendwie auf die Herausforderungen im Leben. Es ist nicht egal, wie wir das tun. Es ist nicht egal, wie wir unsere Mitmenschen dabei betrachten. Sind sie uns Verbündete, sind sie unsere Gegner, oder gar nur auswechselbare Spielfiguren in dem grossen Spiel unsere Lebens…?

Unser Predigttext bietet uns an, sich an das Fundament zu erinnern, welches uns allen gleichermassen gegeben ist. Dies ist die Demut. Eine undankbare Tugend, etwas, was man nicht gerne hört, und dennoch: Demut ist ein Fundament, auf das man aufbauen kann. Was genau ist aber der Inhalt der Demut? Wie kann sie uns  helfen, die Herausforderungen im Leben zu meistern – vor allem, wenn sie wirklich bösartig sind, wie in unserem Predigttext bildlich dargestellt? Ich denke, wenn wir verstehen wollen, was Demut wirklich bedeutet, zumindest in diesem Zusammenhang, so müssen wir in erster Linie daran denken, dass Demut die Beziehung von uns Menschen zu Gott charakterisiert. Der Mensch muss sich demütig verhalten gegenüber Gott. Es ist eine Aussage, welche gefährlich ist, weil sie im Laufe der Geschichte von vielen leider sehr oft missbraucht wurde. Demut bedeutet allerdings NICHT, sich klein, wertlos oder unwürdig zu fühlen. Der demütige Mensch weiss allerdings, dass er nicht der Mittelpunkt dieser Welt ist.

Sobald man dies einsieht und bereit ist, die Bedürftigkeit unseres Lebens zuzugeben, geschieht der Perspektivenwechsel: Wir erfahren, dass wir als Gottes Kinder andere Perspektiven haben als nur die verengenden Mauern unserer Sackgassen im Leben. Wenn man erkennt, dass wir als Menschen auf Gott angewiesen sind, gewinnt das Leben eine andere Dimension. Denn nicht nur ich, sondern auch alle anderen sind auf dieselbe Gnade Gottes angewiesen. Nicht nur mir wird geholfen, sondern auch andere dürfen mit derselben Hilfe Gottes rechnen. In unserem Bibeltext hören wir, dass es auch anderen so ergeht wie den Adressaten des Briefes. Man ist nicht allein. In diesem Zusammenhang weist die Formulierung «den Glauben halten» darauf hin, dass der Mensch sich auf diese Hilfe Gottes verlassen kann, wohl wissend, dass es auch andere gibt, die auf denselben Gott vertrauen. Ein grosser Denker der Neuzeit hat es mal so formuliert, dass das Wissen, in einer langen Reihe von Gleichgesinnten zu stehen, ihm die Möglichkeit gibt, sich zurückzulehnen. Ich denke, damit hat er genau den Punkt getroffen, den unser Predigttext auch deutlich hervorhebt: das Vertrauen darauf, dass Gott einen halten und schützen will, und vor allem, dass wir als Menschen in einer langen Reihe von Menschen stehen, die vor uns für dieselbe Sache eingestanden sind wie wir jetzt. Ebenfalls dürfen wir davon ausgehen, dass es auch nach uns Menschen geben wird, die für die Sache Gottes in dieser Welt einstehen. Die Adressaten unseres Predigttextes wurden darauf aufmerksam gemacht, dass sie auch im Leiden nicht allein sind. Dieses Wissen half ihnen, die schwierigen und schwersten Situationen im Leben zu meistern.

Allerdings ist es so, dass das Leiden und die bösartigen Herausforderungen im Leben einen Menschen leicht dazu verleiten können, wie vorhin schon angedeutet, entweder selber böse oder verbittert zu werden. Um dies zu verhindern, mahnt uns unser Predigttext: Bewahrt einen klaren Kopf! Ich denke, es gibt kaum ein anderes Buch in der ganzen Bibel, in dem so eindringlich zur Nüchternheit aufgerufen wird. Einen klaren Kopf bewahren heisst nicht nur, sich zurückzulehnen in einer langen Reihe der Tradition, auch nicht nur demütig unsere Beziehung zu Gott zu gestalten. Einen klaren Kopf zu bewahren heisst, die Möglichkeiten des Lebens mit grosser Gelassenheit wahrzunehmen, nicht in Panik oder Aktivismus zu verfallen, sondern immer wieder vernünftig abzuwägen, was in dieser oder jener Situation die Haltung ist, die dem Glauben an Gott entspricht. Der klare Kopf ist also die Folge einer recht verstandenen Demut.

Man könnte es vielleicht so formulieren: Sofern der Mensch bereit ist, sich selber in der grossen Reihe der christlichen Tradition zu sehen und dies demütig anerkennt, bekommt er den klaren Kopf geschenkt. Dieser klare Kopf hilft dann, das Versprechen der Herrlichkeit Gottes als ein Zukunftsversprechen wahrzunehmen. Gefangen in mannigfachen Verhältnissen der Gegenwart dürfen wir aber im Glauben in die Vergangenheit blicken, hoffend, dass die Zukunft Gottes auch unsere Gegenwart erhellt.

Wenn dies geschieht, bekommt der Mensch trotz der bösartigen Herausforderungen der Gegenwart den klaren Kopf geschenkt. Man wird vielleicht nicht so ein Held, wie ich mir dies als Kind ausgemalt habe, der den bösen Löwen im Nu besiegt. Aber ist es nicht auch eine Heldentat im Alltag, den klaren Kopf zu bewahren und auf die Verheissungen der Zukunft zu hoffen?

Amen.

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