Christliche Lebenskunst

/Predigt gehalten in der Kirche Vordemwald am 18. Sonntag nach Trinitatis am 19.10.2025/

[15] Achtet also sorgfältig darauf, wie ihr euer Leben führt: Nicht voller Dummheit, sondern voller Weisheit.

[16] Macht das Beste aus eurer Zeit, gerade weil es schlimme Tage sind.

[17] Aus diesem Grund sollt ihr nicht unverständig sein, sondern begreifen, was der Wille des Herrn ist!

[18] Betrinkt euch nicht mit Wein, denn das macht euch zügellos. Lasst euch lieber vom Geist Gottes erfüllen.

[19] Tragt euch gegenseitig Psalmen, Hymnen und geistliche Lieder vor. Singt für den Herrn

und preist ihn aus vollem Herzen!

[20] Dankt Gott, dem Vater, zu jeder Zeit und für alles – im Namen unseres Herrn Jesus Christus.

/Eph. 5, 15-20/

Liebe Gemeinde,

„Lebt als Kinder des Lichtes!“ – so tönt uns die Mahnung aus dem Epheserbrief entgegen. In unserem Predigttext geht es darum, was dieses Leben als Kinder des Lichtes überhaupt beinhaltet. So verständlich diese Worte in einem christlichen Kontext auch klingen mögen, so schwierig ist es doch, sie praktisch in unseren Alltag zu übersetzen. Denn in unserem Predigttext finden wir eine ganze Reihe von Forderungen, die für uns heutige Menschen kaum nachvollziehbar erscheinen.

Wie soll der Mensch von heute als Weiser leben – ganz zu schweigen von den sonderbaren Forderungen, die darauf folgen? Ist das überhaupt realisierbar? Oder sollen wir das Ganze als eine Art frommes Wunschdenken abtun, das wir ohnehin nicht umsetzen können und daher auch nicht weiter bedenken müssen? Ich meine, es ist keineswegs so, dass diese Formulierungen aus dem Epheserbrief uns nichts angehen. Aber es liegt an uns, was wir daraus für unseren Alltag übernehmen.

In unserem Predigttext heisst es zunächst, man solle sorgfältig darauf achten, wie man sein Leben führt. Eine seltsame Wendung. Worum geht es hier eigentlich? Kann man denn anders leben? Wenn man die Mahnung unseres Predigttextes ernst nehmen will, ist das bereits ein erster Punkt, an dem wir innehalten sollten. Was bedeutet diese Wendung? Wenn man den Zusammenhang genau betrachtet, geht es um eine wachsame, aufmerksame, bewusste Haltung im Leben, die uns als Christinnen und Christen auszeichnen soll.

Und schon beim Hören dieser Worte beschleicht einen ein ungutes Gefühl: Was soll das schon wieder heissen? Wachsam sein, bewusst leben, sorgfältig abwägen – das müssen wir doch ohnehin in unserem ganzen Leben! Wir sollen darauf achten, womit wir fahren, um die Umwelt nicht unnötig zu belasten. Wir sollen darauf achten, was wir essen, um unseren Körper zu schonen. Wir sollen auf so viele Dinge achten, dass der Mensch am Ende gar nicht mehr weiss, was alles zu beachten ist.

All diese alltäglichen Herausforderungen erzeugen in unserem Leben einen Stress, den man nicht braucht – aber von dem man sich auch nur schwer befreien kann. Gefangen in dieser alltäglichen „Wachsamkeit“, in unseren Bestrebungen um ein bewusstes Leben, hören wir nun auch den Predigttext dieses Sonntags, der ebenfalls zur Wachsamkeit mahnt. Ich weiss nicht, wie es anderen dabei geht – ich jedenfalls kann diese Aufforderung fast nicht mehr ertragen. Ich möchte doch nur eines: mich zurücklehnen und wenigstens in der Kirche, also in der Nähe Gottes, entspannen. Ich möchte nicht wachsam, nicht bewusst, nicht abwägend sein müssen, sondern einfach frei sein.

Aber so einfach ist es leider nicht. Man kann sich nicht einfach zurücklehnen und so tun, als sei alles in bester Ordnung. Wir Menschen sind mit Vernunft und Willen ausgestattet, mit der Fähigkeit, die Welt zu erkennen und zu gestalten. Daher können wir nicht in einer bequemen Passivität verharren. Wir müssen der Tatsache ins Auge sehen, dass auch in unserer Beziehung zu Gott einiges von uns gefordert wird.

Das Leben als Christinnen und Christen ist einerseits durch eine grundlegende Passivität geprägt: Wir sind Empfängerinnen und Empfänger der Gnade und haben keinen Einfluss darauf. Andererseits wird von uns aber auch gefordert, im grundsätzlichen Sinne aktiv zu sein – also bewusst Entscheidungen im Leben zu treffen. Der Verfasser unseres Predigttextes weiss um dieses Dilemma und mahnt zur Vorsicht. Der Glaube an Gott und an Jesus Christus impliziert eine bestimmte Lebenshaltung.

Es geht darum zu erkennen, dass es nicht einerlei ist, wie man lebt, wenn man sich zu Gott, dem Schöpfer, Erlöser und Vollender dieser Welt, bekennt.

Als Jugendlicher habe ich mich dagegen aufgelehnt, ein „Beispiel“ in der Gemeinschaft sein zu sollen. Ich wollte nicht einsehen, dass das Leben als Christ eine bestimmte Haltung mit sich bringt. Auch wenn das nicht immer bequem ist, so ist es doch die einzige Möglichkeit, glaubwürdig zu sein.

Der deutsche Theologe Dietrich Bonhoeffer hat das Bild einer aktiven Glaubenshaltung eindrücklich zusammengefasst. Er meinte: Wenn man sieht, dass auf dem Kurfürstendamm – einer beliebten Flaniermeile in Berlin – ein Verrückter mit einem Auto in eine Menschenmenge rasen will, dann reicht es nicht, die Verletzten zu versorgen. Man muss auch versuchen, das Auto zu stoppen. Mit seinem Leben und seinem Tod hat Bonhoeffer Zeugnis davon abgelegt, wie das möglich ist.

Ich denke, sein Lebenszeugnis – wie auch das unzähliger anderer, die auf Gottes Gnade vertraut und authentisch gelebt haben – gibt uns auch heute zu denken. Es stimmt, dass wir heute nicht mehr so direkt Stellung beziehen müssen wie früher. Aber auch heute ist es nicht einerlei, wie man lebt und welches Beispiel man anderen gibt.

Genau darum geht es in unserem Predigttext: Die christliche Existenz in der Welt ist nichts Bequemes und darf nicht in Bequemlichkeit verfallen. Das christliche Leben fordert von uns Wachsamkeit, sorgfältiges Abwägen, aber auch gut überlegte Entscheidungen in vielen Situationen unseres Lebens. Es wäre sicherlich schön, sich einfach zurückzulehnen und nichts bedenken zu müssen – aber der Glaube an den lebendigen Gott ermutigt uns, unser Leben bewusst zu gestalten.

Unser Predigttext verwendet dafür den Begriff der Weisheit. Demzufolge ist der Mensch weise, wenn er überlegt, was in einer bestimmten Situation Gott und dem Glauben entspricht – und was man lieber lassen sollte. Der Verfasser des Briefes weiss allerdings auch um die Schwierigkeit dieses Unterfangens. Ihm ist klar, dass es nicht selbstverständlich ist, dass der Mensch so lebt und handelt. Ebenso weiss er, dass die Umwelt nicht immer einfach ist. Im Predigttext ist sogar davon die Rede, dass „die Tage böse sind“.

Wenn man das Wort im Originaltext und Zusammenhang anschaut, wird deutlich: Es geht hier um den Zustand einer Welt, die sich vom moralischen Kompass entfernt hat. Die „bösen Tage“ sind Tage, in denen es keine verbindlichen Orientierungspunkte mehr gibt – und genau das soll Christinnen und Christen bewusst werden.

Ich denke, jede und jeder von uns wünscht sich solche verbindlichen Orientierungspunkte im Leben. Doch genau das wird heute oft nicht mehr allgemein geboten. Wie wir hören, war das zur Zeit der ersten Christinnen und Christen nicht anders. Auch damals stand man vor der Frage, woran man sich orientieren sollte.

Deshalb ist es wichtig, den ersten Teil unseres Predigttextes – die Mahnung zu einer bewussten Haltung – ernst zu nehmen. Wer bewusst lebt und überlegt, kennt die Beschaffenheit der Welt und setzt bewusst einen Kontrapunkt. An anderer Stelle im Epheserbrief lesen wir vom Leben als „Kinder des Lichts in der Finsternis“ – ein deutliches Bild. Wir setzen Zeichen in der Welt, und es ist nicht gleichgültig, welche Zeichen wir mit unserem Leben und Handeln setzen.

Unser Predigttext enthält aber auch einen – für mich jedenfalls – besonders wichtigen Hinweis darauf, wie dieses Leben aussehen soll: Wir gehören zu einer Gemeinschaft, die einander trägt. Das Wissen, dass ich nicht allein bin, dass ich in der Gemeinschaft getragen werde, kann Entscheidungen im Leben erleichtern.

Ebenso wichtig ist aber, dass diese Grundhaltung im Leben Konsequenzen mit sich bringt. In eine der Bekenntnisschriften der Reformationszeit, dem Heidelberger Katechismus, haben die Verfasser gefragt, was es dem Menschen nützt, all das zu glauben, was über Gott verkündet wird. Ihr Fazit ist von einem christlichen Pragmatismus geprägt, der auch unserem Predigttext entgegenkommt: Man lernt, dankbarer zu leben.

Ich denke, zu dieser Lebenshaltung gehört, dass man das Schöne und Gute im Leben dankbar annimmt und daran glaubt, dass es Gottes Geschenk an uns ist. Christliche Lebenskultur bedeutet – jedenfalls nach unserem Predigttext –, dass der Mensch bereit ist, bewusster zu leben und dankbar wahrzunehmen, was Gott uns im Alltag schenkt.

„Die Tage sind böse“, heisst es in unserem Predigttext – aber wenn wir bereit sind, das Schöne und Gute darin zu suchen und zu finden, steht Gott auf unsere Seite, der uns auch heute Licht in der Dunkelheit der Welt schenken möchte.

Amen.

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