Die Hände in Unschuld waschen
(Predigt gehalten in der Kirche Strengelbach am 13.10.2024)
Predigttext:
Psalm 26,6
In Unschuld wasche ich meine Hände und schreite feierlich um deinen Altar, Herr.
Liebe Gemeinde,
Ein reichlich verwirrender Text begegnet uns heute in unserem heutigen Predigttext. Es handelt sich um einen Teil eines Psalmgebets, welches im Tempel in Jerusalem gesprochen wurde. Die Pilger, die sich auf den Weg gemacht haben, um in Jerusalem zu beten, haben vermutlich dieses Gebet gesprochen. In unserer Predigtreihe beschäftigen wir uns mit der Frage nach den Händen. Was für eine Bedeutung haben Sie im Zusammenhang der Bibel und ganz speziell im Zusammenhang unseres Lebens? Im heutigen Gottesdienst steht die Frage nach der Schuld und Unschuld im Mittelpunkt. Ist das überhaupt eine Frage, die man so stellen kann? Ja, ich denke, wir liegen falsch, falls wir die Frage von Schuld und Unschuld in einer abstrakten, vom konkreten Alltag losgelösten Form stellen. Liest man die Bibel genau, so können wir merken, dass sich dort niemand für die abstrakten Fragen interessiert. Diese werden immer im Zusammenhang mit einem konkreten Lebenswandel und im Zusammenhang mit Gott gebracht. Auch der Beter des Psalmes macht nichts anderes. Er sieht sein Leben mit allem, was dazugehört eben im Zusammenhang mit Gottes großem Plan für diese Welt. In diesem Zusammenhang ist es nicht einerlei, wie man lebt, was man denkt und vor allem, wie man handelt. Nun, trotz dieser klärenden Vorbemerkungen stellt sich die Frage, was wir mit dieser sonderbaren Geste vom Händewaschen im Zusammenhang von Schuld und Unschuld anfangen sollen.
Schauen wir auf die Bedeutung der Hände im Zusammenhang der Kulturgeschichte und Religion, so wird einen geradezu schwindlig von der schieren Menge der Hinweise, die uns daran erinnern, dass Hände eine große Bedeutung für uns Menschen haben. Hände stehen sinnbildlich für unsere Handlungen. Im „Handwörterbuch des Deutschen Aberglaubens“ findet man seitenweise Hinweise darauf, dass Hände eine breite Palette von Lebenswelten abdecken. Hände stehen für Gutes und Schlechtes, für Rechtes und Unrechtes. Sie sind Symbole und Zeichen von Macht, von richterlicher und königlicher Gewalt, aber auch Zeichen von persönlicher Integrität. Ich bin der Meinung, dass dieser letzte Punkt uns gerade in Bezug darauf weiterbringen kann, was denn dieser Psalmvers heute für uns bedeutet. Im ganzen Zusammenhang des 26. Psalmes steht die Frage der Integrität im Vordergrund. In der Schriftlesung haben wir die bekannte Geschichte von Pilatus gehört. Auch dort spielt die Frage nach der Integrität eine bedeutende Rolle. Pilatus will das letzte Stück seine Integrität retten und greift zu einer symbolischen Handlung. Er wäscht seine Hände. Genau wie in unserem Predigttext: der Pilger zeigt seine Bereitschaft, Gott zuzuhören und das Herz zu öffnen mit eben dieser symbolische Handlung. Diese Handlungen haben es in sich. Sie unterscheiden zwischen zwei Alternativen und stellen klar, auf wessen Seite man steht. Stellen wir uns die Frage, wer denn ein integrer Mensch ist, so werden wir darauf vermutlich ganz unterschiedliche Antworten geben. Gemeinhin gilt in unserer Gesellschaft ein Mensch als integer, wenn seine Handlungen und Lebensinhalte miteinander im Einklang stehen. In der Reformationszeit gab es die Auffassung, dass der Mensch erst dann richtig Gott zugehörig ist, wenn er seine Beziehungen nach oben, nach innen und nach außen geregelt hat. Mit Gott, mit sich selber und mit dem mit Menschen in Frieden zu leben macht demnach das Leben eines gläubigen Menschen aus. Integrität anders formuliert. Es geht also darum, dass man hinter diesem Symbol der Hände genau das sieht, was wesentlich ist: eine Lebenshaltung. Ich denke, dies geht uns auch heute an, vielleicht mehr als wir das anzunehmen bereit sind. Der Beter des Psalmes, der seine Hände in Unschuld wäscht, weiss ganz genau, worum es dabei geht: um eine konsequente Lebenshaltung. Wer die Hände in Unschuld wäscht, hat zumindest so viel verstanden, dass es in Bezug auf Gott um klare Lebensentscheidungen geht. Es geht nicht nur oder besser gesagt gar nicht um reine Pflichterfüllung, sondern viel mehr um die bewusste Entscheidung für etwas und gegen etwas. Diese Frage war im Alltag der Antike eine ernst zu nehmende Frage und ist es auch heute noch geblieben. Der Gott der Bibel erwartet von den Menschen eine klare und bewusste Lebensführung. Dies bedeutet dann auch, dass der Mensch eine gewisse Vorstellung davon hat, was richtig ist, das heisst gottgemäss und was falsch ist, das heißt nicht Gott entsprechend bedeutet.
Ist diese Geste des Händewaschens überhaupt von Bedeutung? Ich denke gerade im Hinblick auf unser Leben, ist dies sehr wichtig. Wie bereits angedeutet, geht es hierbei um eine bewusste Entscheidung im Leben. Die symbolische Geste unterstreicht diese in einer besonderen Form. Im Falle von Pilatus ist dies die feierliche Zurschaustellung, dass er nicht damit einverstanden ist, wie er handeln soll. Er zeigt damit ganz deutlich auf, dass er keinerlei Gemeinschaft mit denen haben möchte, welche Jesus verurteilen. Nichtsdestotrotz muss er seine Aufgabe erfüllen. Er macht aber deutlich, dass dies nicht seiner Wertevorstellung entspricht. Ist damit schon alles getan? Pilatus nimmt immerhin Stellung. Er stellt klar, wo er steht und ordnet damit die Verhältnisse. Man kann von seiner Geste halten, was man will, aber eines ist klar: Er schafft damit eine gewisse Ordnung in einer chaotischen Situation. Ich denke, genau dies ist der Sinn dieser symbolischen Geste. Hände können so vieles ausrichten, mitunter auch Ordnung schaffen. Sie können aber ganz klar auch Unheil anrichten. Die Geste des Händewaschens richtet unsere Aufmerksamkeit darauf, wie wichtig es ist, Unterscheidungen im Leben zu treffen,
Im Sinne des Alten Testaments meinte Händewaschen eine klare Abgrenzung von den Männern der Nichtigkeit. Der Beter, der sich auf die Seite Gottes stellt, kann und will nichts mit ihnen zu tun haben. Das heisst, es ist klar, die Männer der Nichtigkeit sind diejenigen, die eine andere Vorstellung vom Leben haben als der, der sein Leben nach Gott richtet. Man kann es auch anders formulieren und sagen: die Geste des Händewaschens macht uns darauf aufmerksam, dass es auch eine falsche Vergemeinschaftung gibt. Der, der sich an Gott hält, muss sich dies bewusst machen. Was ist denn eine falsche Vergemeinschaftung? Ich beobachte mit Sorge und mit einer gewissen Angst, wie sich in unserer Welt diverse Ideologien breit machen. Ideologien sind auch ein Kitt der Gemeinschaft. Sie gründen aber garantiert eine falsche Gemeinschaft. Es geht darum zu sehen, dass eine Gemeinschaft, welche den Namen verdient bekommt, ihre Kraft durch die Haltung bekommt, mit der Mitglieder einander wertschätzen und unterstützen. Gewiss ist in jeder Gemeinschaft auch ein Stück weit das Denkmuster „wir“ und „die anderen“ drin, aber dies darf nicht der Sinn der Gemeinschaft sein. Falsche Vergemeinschaftung ist es dann, wenn der Grund der Gemeinschaft eine ausschliessende ist. Solche teils aggressiven Tendenzen gibt es in unserem Leben mehr als genug. Das Händewaschen im Psalm signalisiert, dass der Beter weiss: es gibt eine gute, eine erbauende Art der Gemeinschaft gegen alle falschen Arten. Das ist die Gemeinschaft mit Gott. Ich denke, wenn wir dies ernst nehmen, so sind wir ein Stück weit dem entgegengekommen, was man früher „Gottesdienst des Lebens“ genannt hat. Max Weber, ein grosser Soziologe des 20. Jahrhunderts, kreidet den Reformierten an, dass sie der Auffassung seien, Gott müsse durch den Alltag und den Dienst im Alltag geehrt werden. Seine Gedanken zielen in der Richtung von Gewinn, Verlust und Profit. Er hat in gewissen Fragen sicherlich recht.
Was wir jedoch in unserem Psalmvers haben, ist etwas anderes: es geht um die rechte Unterscheidung im Alltag und darum, wie man zu leben hat gerade in unserem Alltag. Gegen alles falsche Gemeinschaftliche
im Leben steht das Wort Gottes als Kompass und Orientierungspunkt. Er bietet uns die Chance, anders zu sehen und anders zu handeln. Er bietet uns die Chance, unsere Integrität zu wahren in einer Welt, in der viel zu oft die Hände in scheinbarer Unschuld gewaschen werden. Im Sinne der Bibel ist die „Hände in Unschuld waschen, oder: die unschuldigen Hände waschen“ keine Ersatzhandlung mangels Alternativen: vielmehr ist das eine bewusste Haltung: durch die klaren Unterscheidungen Gott die Ehre zu geben. Möge Gottes Segen mit uns sein, dass wir in der richtigen, d.h. in der Gemeinschaft nach seinem Sinne bleiben. Mögen unsere Gesten, unser Leben auf den hinweisen, der auf die Welt kam, damit wir Menschen eine andere Perspektive geschenkt bekommen. Amen