/Predigt gehalten in der Stadtkirche Zofingen am 31.08.2025/
[8] Doch wenn ich nach Osten gehe, ist Gott nicht da. Auch im Westen kann ich ihn nicht finden. [9] Im Norden bekomme ich ihn nicht zu fassen, und auch im Süden seh’ ich ihn nicht. [10] Er aber kennt den Weg, auf dem ich bin. Wenn er mich prüft, so bin ich rein wie Gold. [11] Denn ich lenkte meine Schritte in seine Richtung. Ich blieb auf seinem Weg und bog nicht davon ab. [12] Seine Gebote las ich ihm von den Lippen ab. Und alle seine Worte bewahrte ich im Herzen./Hiob 23, 8-12/
Liebe Gemeinde,
Hiob… ist die Person, von der wir vielleicht am wenigsten in der Bibel wissen, auch wenn im Buch Hiob extensiv beschrieben wird, was er alles in seinem Leben durchgemacht hat. Hiob ist das ewige Rätsel von Menschen und des Menschen Weg mit Gott. Das ist ein ewiges Rätsel von Gottes Eingreifen, oder eben Nicht-Eingreifen in die persönlichen Geschichte von uns Menschen. Lesen wir oder hören wir unseren Predigttext aufmerksam, so wird daraus sehr deutlich: Hier redet ein Mensch, der offensichtlich einiges mit Gott erlebt hat und der es anderen Menschen und der Nachwelt mitteilen möchte. Hier geht es um eine Erfahrung, welche über das Persönliche hinausgeht und allgemeine Gültigkeit für sich beansprucht.
Das Erste, was uns in unserem Predigttext begegnet, ist eine merkwürdige Aussage darüber, dass man Gott nicht finden kann. Sehr wohl aber kann und soll man sich darum bemühen, ihn zu finden. Betrachten wir unser alltägliches Leben, so wird klar, dass es sehr oft so läuft, dass wir gewisse Hindernisse im Leben haben, die uns daran hindern, den Weg zu Gott zu finden. Dafür stehen die Aussagen unseres Predigttextes von den verschiedenen Himmelsrichtungen, wo der Mensch versucht Gott zu finden. Die Grenzen unserer menschlichen Erfahrungen sind aber unsere Grenzen. Als solche verwehren sie uns den Zugang zu Gott. Genau darum geht es, sich dies bewusst zu machen. Genau darum geht es auch hier. Der Verfasser des Predigttextes sucht Gott dort, wo er meint, ihn finden zu können, und findet ihn nicht. Warum wohl? Wir haben Hindernisse in uns, die uns daran hindern, den Weg zu Gott zu finden. Brauchen wir das überhaupt?
Die Hindernisse des Lebens können ganz vielfältig sein, weil unsere eigenen persönlichen Lebensgeschichten es auch sind. Einer der wichtigsten Faktoren in diesem Bereich ist die persönliche Erfahrung oder eben ihr Fehlen. Hat man erst eine negative Erfahrung mit etwas oder mit jemandem gemacht, so fällt es dem Menschen nicht leicht, sich wieder auf diese Person oder Sache einzulassen. Gerade in Bezug auf Gott erleben wir dies oft, dass Menschen sich von Gott abwenden, weil er in einer Situation nicht so reagiert hat, wie man es persönlich erwartet hatte. Damit ist schon die optimale Voraussetzung geschaffen, sich NICHT auf den Weg zu machen, um Gott zu finden. Dies steht allerdings in der Freiheit des Menschen. Der Mensch wird nicht dazu gezwungen, dieses Angebot Gottes anzunehmen. Es wird uns angeboten, dass wir in Gottes Nähe Sicherheit und Geborgenheit finden können. Wir werden aber keineswegs gezwungen, dieses Angebot anzunehmen. Gott suchen, muss man nicht, aber wenn man ihn findet, bereichert es das Leben nachhaltig.
Wenn man allerdings nach den Voraussetzungen dafür sucht, wie man Gott finden kann, so finden wir keine. Die einzige Voraussetzung ist, dass der Mensch sich auf den Weg macht. Auch diesbezüglich hat Gott den ersten Schritt getan. Er wurde Mensch, damit wir zu den Menschen werden können, die wir in Wirklichkeit sind.
In unserem Predigttext haben wir eine interessante Wendung über die Wege. Sind sie die Wege Gottes, könnten sie andere Wege sein? – fragt sich der Mensch. Angenommen aber, dass der Weg, auf dem der Mensch geht, Gottes Weg ist, was bedeutet dies in diesem Zusammenhang?
Merkwürdig genug: Auch der geübte Bibelleser ist geneigt, hier einfach weiterzulesen. Betrachten wir jedoch diese Aussage in ihrem ursprünglichen Kontext, so kommen wir zu einer erstaunlichen Ansicht. In der Welt des Alten Testaments hiess «auf dem Wege des Herrn zu gehen» etwas ganz Spezielles. Es ging dabei um eine Lebenshaltung, welche tief in den Herzen der Menschen anfing, die eine gewisse Handlung hervorgerufen hat, und diese hat dann wiederum Einfluss auf die Haltung des Menschen ausgeübt. Ist das Demut? Die Menschen der Antike haben dies vermutlich nicht so genannt. Dennoch wussten sie: Auf dem Weg Gottes zu gehen war also keineswegs ein harmloser, formeller Akt von Frömmigkeit. Es erforderte eine klare Stellungnahme, und zwar nicht nur in Worten, sondern auch in Taten. Die Reformatoren haben in diesem Zusammenhang von der Frucht des Glaubens gesprochen und meinten, dass meine guten Taten von meinem Glauben zeugen und nicht nur die Umwelt, sondern auch mich selber bereichern. Darauf kommt es letztlich an: so zu leben, dass unsere Lebenshaltung von der Anwesenheit des Schöpfers zeugt. Es kommt darauf an, dass es klar wird: Der Mensch hat gewisse Werte, denen er verpflichtet ist, und diese bestimmen sein ganzes Leben.
Gottes Angebot an den Menschen, der sich auf seinem Lebensweg befindet, zielt darauf hin, in seiner Nähe die Geborgenheit und Sicherheit zu finden, die für unser Leben unbedingt notwendig sind. Die psychologische Forschung hat wiederholt darauf hingewiesen, dass eines der Grundbedürfnisse der menschlichen Seele genau dies ist: Geborgenheit und Sicherheit zu erfahren. Genau dies ist der Inhalt von Gottes Angebot an uns. Worauf stützt sich aber diese Aussage gerade im Blick auf unseren Predigttext?
Der Verfasser des Predigttextes gibt seiner Hoffnung Ausdruck, dass Gott ihn nicht nur kennt, sondern wirklich sieht und ihn auf dem Lebensweg begleitet. Dies gibt ihm die Gewissheit, sagen zu können, dass er sich nur an Gott orientieren möchte, und zwar an Gottes Gebot. Ist das Demut, welches hier in diesen Bibelversen zur Sprache kommt, oder ist es der Hochmut von den frommen Menschen, die meinen, alles richtig machen zu können, und dabei geflissentlich vergessen, dass wir Menschen nun mal Menschen sind und Gott Gott ist und Gott bleibt?
Ich lese diese Verse aus dem Buch Hiob und denke darüber nach, was es für uns heissen könnte. Es geht doch darum, dass der Schlüssel, um Gott zu begegnen, darin liegt, Gottes Gebot zu beachten. Aber wie soll das gehen? Am letzten Sonntag haben wir davon gehört, dass es gar nicht so einfach ist, das auszumachen, was wirklich wichtig und wesentlich im Christentum sei. Wir leben in einer Welt, in der die Werte und Wertsysteme wie eine Patchwork-Arbeit zusammengewürfelt sind. In einer scheinbar friedlichen Koexistenz gibt es in unserer Gesellschaft viele Lebensentwürfe. Dies ist an und für sich gar nicht so schlecht, denn die Vielfältigkeit und Buntheit gehört dazu zu dem von Gott geschaffenen Leben. Was dann allerdings weniger schön ist, ist die Tatsache, dass der Mensch versucht, aus allem nur das herauszupicken, was ihm gerade im Moment gefällt. Der große Markt der Werte und Ideologien scheint eine Art Selbstbedienungsladen zu sein, wo man immer nur das für sich beanspruchen kann, was einem gerade bequem ist. Und genau das soll nicht funktionieren – darauf weist unser Predigttext hin. Ob wir diesen Hinweis aufnehmen können und wollen?
Der Verfasser des Predigttextes gibt uns einen ernst zu nehmenden Hinweis: Man sollte das Wort Gottes im Herzen bewahren. Dies gibt uns die Sicherheit, dass wir in jeder Lebenslage damit rechnen können. Wir haben einen sicheren Ausgangspunkt. Betrachtet man unseren Predigttext von heute, so ist seine Ausrichtung ganz klar: Der Mensch soll sich bewusst machen, worauf sich das eigene Leben stützt. Ich denke, wenn wir heute und hier diese Frage beantworten müssten, so kämen ganz verschiedene Antworten zustande. Und auch das ist gut so. Allerdings muss man sich fragen, wie solide diese Grundlagen des Lebens sind. Der Verfasser unseres Predigttextes macht uns eine Sache deutlich: Der Mensch ist nicht nur Materie, sondern auch Geist und Seele. Dazu gehört die Fähigkeit und der Wille, nach höheren Werten als die materiellen Ausschau zu halten. Dies soll man nicht ausser Acht lassen. Das Wort Gottes im Herzen zu bewahren, wohl wissend, dass das Wort von aussen zu uns kommt, gibt uns Sicherheit und Stabilität. – Zugleich aber macht dies auch noch etwas anderes deutlich: Ich bin keine Voraussetzung, sondern, wenn man so will, eine Danach-Setzung. Ich bin mit meiner ganzen Lebensgeschichte Teil von der grossen Geschichte Gottes… und das kann einen demütig stimmen.
Ich habe meine Überlegungen unter den Titel gestellt: Echte Demut… und was noch? Auf diese Frage antwortet unser Predigttext von heute mit einer etwas sonderbaren Antwort. Zur echten Demut gehört auch immer wieder die Erkenntnis, dass wir als Menschen gar nicht anders können als immer wieder mit dem Anfang anzufangen… von Gott auszugehen, damit wir unterwegs uns selbst und letztlich auch Gott finden können. Nicht, weil wir dies verdient haben, sondern, weil er uns vorher findet und uns die Möglichkeit schenkt, im Lichte seines Wortes unser Leben anders zu sehen.
Amen.