17 Denn seht, ich schaffe einen neuen Himmel und eine neue Erde, und dessen, was früher war, wird nicht mehr gedacht werden, und man wird es nicht mehr bedenken.
18 Vielmehr frohlockt und jubelt endlos über das, was ich schaffe! Denn seht, ich schaffe Jerusalem als Jubel und ihr Volk als Frohlocken.
19 Und über Jerusalem werde ich jubeln, und frohlocken werde ich über mein Volk. Und Weinen und Schreien wird in ihr nicht mehr zu hören sein.
22 Sie werden nicht bauen, damit ein anderer wohnt, sie werden nicht pflanzen, damit ein anderer isst, denn das Alter meines Volks wird sein wie das Alter des Baums, und was ihre Hände erarbeitet haben, werden meine Auserwählten geniessen.
23 Sie werden sich nicht vergeblich abmühen und nicht in entsetzlicher Angst Kinder gebären, denn sie sind die Nachkommen der Gesegneten des HERRN, und ihre Sprösslinge werden ihnen bleiben.
24 Und noch ehe sie rufen, antworte ich, noch während sie reden, erhöre ich sie.
25 Wolf und Lamm werden einträchtig weiden, und der Löwe wird Stroh fressen wie das Rind, und die Schlange – ihre Nahrung ist der Staub. Nirgendwo auf meinem heiligen Berg wird man Böses tun oder Zerstörendes, spricht der HERR.
(Jes. 65, 17-19,22-25)
Liebe Gemeinde,
Am letzten Sonntag des Kirchenjahres, den wir auch Ewigkeitssonntag nennen, gedenkt die christliche Kirche einerseits der Verstorbenen des letzten Jahres, andererseits aber auch Gottes Zusage an sein Volk, dass er Neues schaffen wird. Es ist eine schöne Vorstellung, dass Gott dann einmal alles neu machen wird, dass es in seinem kommenden Reich weder Tränen noch Weinen noch Schmerz geben wird. Es ist ein Idyll, wie wir es in unserem heutigen Predigttext auch gehört haben. Es ist ein Idyll, das so weit von unserem Alltag weg ist, dass wir uns gar nicht mehr damit befassen möchten. Gewiss, man hofft darauf, dass es einmal so sein wird, aber wir leben ja noch in der Gegenwart, in einer Welt, in der Armut, Hass, Lieblosigkeit noch allzu gegenwärtig sind, in einer Welt, in der Trauer und Leid allzu präsent sind. Wie geht man also mit der Situation um, in der einerseits die herrliche Zusage Gottes, anderseits aber die so sehr erdrückenden Erlebnisse von Verlust, Trauer und Leid gleichzeitig existieren? Ich denke, dass man da gar nicht in einer leichten Situation ist, aber es ist immer noch leichter als ohne irgendwelche Hoffnung durchs Leben gehen zu müssen. Die Hoffnung, von der in unserem Predigttext die Rede ist, ist die Kraft, die dem Menschen Kraft gibt, mit dem fertig zu werden, was unser Leben erschwert, ja unheimlich belasten kann. Lasst uns nun auf die Bibel hören, wo eine Situation angesprochen wird, die uns allen bekannt sein könnte.
Der Verfasser des Predigttextes ist jemand, der trotz der augenblicklichen Situation darauf hofft, dass Gottes Zusage gültig ist und gültig bleibt, auch dann, wenn die äusseren Umstände nichts Gutes verheissen. Die Worte unseres Predigttextes sind kristallklar. Der Prophet hat keinerlei Zweifel daran, dass Gottes Zusage gültig ist und auch dann zutrifft, wenn man davon noch nicht viel merken kann. Anders erging es aber den Zuhörern von Jesaja. Sie haben einiges erlebt, einiges verloren. Sie haben bereits Trauererlebnisse hinter sich gebracht oder stecken vielleicht mitten in neuen schweren Verlusten. Somit haben sie eigentlich kein Interesse daran, das zu hören, was ihnen gesagt wird. Sie wollen es gar nicht wahrnehmen, dass das Leben des Volkes mit Gott auch dann weitergeht, wenn man keinerlei äussere Merkmale der Zukunft sehen kann. Man bekommt leicht das Gefühl, man sei mutterseelenallein. Manchmal denkt vielleicht der Mensch, dass Hermann Hesse doch recht gehabt hat mit seiner Formulierung: «Leben ist. Einsamsein. Kein Mensch kennt den anderen, Jeder ist allein.» (Hesse: Im Nebel)
Ich denke, dies ist etwas, womit wir heutigen Menschen sicherlich etwas anfangen können. Verluste haben wir alle in dieser oder jener Form erleben müssen. Ich denke, dass wir alle das Gefühl kennen, dass gar nichts mehr weitergeht, denn jemand fehlt aus unserem Leben. Doch, und dies ist auch eine Erfahrung, die man im Alltag machen kann, merken wir, dass die Sonne jeden Tag genau so aufgeht wie früher, dass Wind und Wolken, Licht und Schatten einander folgen. Das Leben geht weiter und man ist ratlos, wie es weitergehen soll.
Jesaja kennt seine Leute sehr gut. Er sagt ihnen nicht, WIE es weitergehen wird, sondern er macht sie darauf aufmerksam, DASS es weitergehen wird. Das Leben bleibt nicht stehen, auch wenn wir jemanden verloren haben, sondern wir müssen unseren Weg gehen. Dass wir auf diesem Weg nicht uns selber überlassen sind, sondern einen Gott haben, der zu uns schaut- ist für den Propheten gar keine Frage. Er weiss es und das vermittelt er auch, dass Gott ein Gott ist, der mit dem Menschen Gott sein möchte, der den Menschen auf den jeweiligen Lebensweg begleitet. Und genau darum geht es ja in der ganzen Geschichte Gottes mit uns Menschen: Gott zwingt uns nicht den Lebensweg auf, sondern begleitet uns auf dem Weg, den wir individuell gehen müssen, damit wir letztendlich bei unserem Ziel ankommen. Das Volk von damals hat diese Lehre mühsam und langsam lernen müssen. Sie haben auch lernen müssen, dass Gott kein Automat ist, dass Fehlentscheidungen im Leben auch dann ihre Konsequenzen haben, wenn man an Gott glaubt. Anders gesagt: Gott bewahrt die Seinen nicht vor dem Leiden, aber er ist mit ihnen im Leiden. Dies ist aber keineswegs eine leichte Lektion, die man ohne weiteres hinnehmen könnte.
Wenn man die Worte unseres Predigttextes liest, da kann dem heutigen Menschen etwas mulmig zumute werden. Denn es heisst dort bereits am Anfang, dass man nicht mehr daran denken wird, was früher war. Heisst das, dass die Erinnerungen, die guten und die schlechten, ein für allemal verschwinden werden? Für mich ist dies eine grausige Vorstellung. Gewiss, es gibt Erinnerungen, die mich belasten, aber es gibt auch schöne, helle, freudige Erinnerungen, die ich nicht missen möchte. Gott spricht, sofern ich die Worte der Bibel richtig deute, nicht davon, dass die Erinnerungen en Globo ausgelöscht werden, sondern über etwas Anderes. Er verspricht denen, die an ihn glauben, dass die leidvollen, dunkeln, schweren Erinnerungen nicht mehr die Herrschaft über das Leben der Menschen haben werden, sondern etwas Anderes.
Ich denke, dieses Andere können wir nur fassen, wenn wir daran denken, wie wir Menschen funktionieren. Zugegeben, nicht jeder von uns ist gleich geschaffen. Im Grossen und Ganzen würde ich sagen, dass wir als Menschen so geschaffen sind, dass die negativen Erinnerungen, Verlusterlebnisse, etc. uns sehr in Anspruch nehmen können. Es kann sogar so weit gehen, dass man für nichts Anderes mehr ein Auge hat. Die negativen Erinnerungen, die sich in einem Leben breit machen, können das Leben des Menschen zur Hölle auf Erden verwandeln. Wer nur noch Augen für den eigenen Verlust und die eigene Trauer hat, achtet nicht mehr auf die Mitmenschen um sich herum gar nicht mehr, ganz zu schweigen von Gottes Gegenwart.
Verlust und Trauer können einen totalen Anspruch in unserem Leben entwickeln. Da hat der Mensch dann keine, ja gar keine Lebensfreude mehr. Gott weiss um diese Beschaffenheit des Menschen. Deshalb sichert er uns seine Gegenwart zu und zwar als Grund der Freude. Die Freude und das Frohlocken, von dem hier die Rede ist, gleicht einer Kerze, die in der Dunkelheit die Verlorenheit und die Einsamkeit hell werden lässt. Diese helle Freude ist dann Gottes Gegenwart.
Was beinhaltet nun diese Aussage? – fragt man sich mit Recht. Am Ewigkeitssonntag erinnert uns diese Aussage speziell daran, dass wir einen Gott haben, der uns zuhört. Und dies ist schon einmal mehr, als man es auf den ersten Blick erwartet. Grund des Daseins und Grund zur Freude ist, dass wir in Dialog mit Gott treten können. Besser gesagt, dass Gott bereit ist, uns zuzuhören und uns so zu begleiten. Ein Gott, der uns zuhört, ist auch dann eine tröstliche Vorstellung, wenn man im Alltag viel Bedrückendes erfahren muss. Ein Gott, der auch das hört, das wir nicht oder nicht mehr in Worte fassen können oder vermögen, ist wahrlich ein Grund zur Freude.
Der Prophet spricht in eindrücklichen Bildern über diese Zukunft Gottes. Diese fantasievollen Bilder haben aber einen eindeutigen Inhalt und eine eindeutige Botschaft: Gott, ist ein Freund des Menschen. Er ist ein Gott, der dem Menschen Gutes tun möchte. Deshalb befreit er den Menschen aus der Knechtschaft der negativen Erinnerungen, Erlebnisse und auch aus den Fesseln der Angst.
Jetzt, wo sich vielleicht manche von uns an etliche negative Sachen erinnern, wo die Verlusterlebnisse in uns hochkommen und vielleicht ganz stark wirken, tut es gut, uns daran zu erinnern, dass Gott als Freund des Lebens uns aus mancherlei Knechtschaft befreien möchte, aus Fesseln, die uns den Weg in Richtung der Zukunft Gottes versperren oder gar ganz verschliessen.
Jesajas Volk hat es lernen müssen, dass der Weg in Gottes Zukunft kein leichter Weg ist, aber es ist des Menschen einzige Chance, sich auf den Weg zu machen und der Zusage von Zukunft zu trauen. Möge Gott auch uns dabei helfen, dies auch in unserem Alltag zu erfahren. Amen