Dienen, oder besser Herrschen?

D

35 Da kommen Jakobus und Johannes, die Söhne des Zebedäus, auf ihn zu und sagen: Meister, wir wollen, dass du für uns tust, worum wir dich bitten.

 36 Er sagte zu ihnen: Was soll ich für euch tun?

 37 Sie sagten zu ihm: Gewähre uns, dass wir einer zu deiner Rechten und einer zu deiner Linken sitzen werden in deiner Herrlichkeit.

 38 Jesus aber sagte zu ihnen: Ihr wisst nicht, worum ihr bittet. Könnt ihr den Kelch trinken, den ich trinke, oder euch taufen lassen mit der Taufe, mit der ich getauft werde?

 39 Sie sagten zu ihm: Wir können es. Da sagte Jesus zu ihnen: Den Kelch, den ich trinke, werdet ihr trinken, und mit der Taufe, mit der ich getauft werde, werdet ihr getauft werden,

 40 doch über den Platz zu meiner Rechten oder Linken zu verfügen steht mir nicht zu, sondern er wird denen zuteil, für die er bereitet ist.

 41 Als die zehn das hörten, wurden sie immer unwilliger über Jakobus und Johannes.

 42 Und Jesus ruft sie zu sich und sagt zu ihnen: Ihr wisst, die als Herrscher der Völker gelten, unterdrücken sie, und ihre Grossen setzen ihre Macht gegen sie ein.

 43 Unter euch aber sei es nicht so, sondern: Wer unter euch gross sein will, sei euer Diener,

 44 und wer unter euch der Erste sein will, sei der Knecht aller.

 45 Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele.

 (Mar 10:35-45)

Liebe Gemeinde,

Wenn wir uns diese eben gehörten Worte vergegenwärtigen, können wir uns die Situation unschwer vorstellen: es gibt Momente im Leben, so  unangenehm sie auch sind, die  berechtigt erscheinende Fragen aufwerfen. Und berechtigt erscheint auch den heutigen Zuhörern die Frage der Jünger: Was haben wir davon? Ich denke, diese Stelle verdient es, für einen Moment stehen zu bleiben und über die Situation nachzudenken, in der diese Frage gestellt worden ist. Es geht um Menschen, die mit Jesus unterwegs waren, die alles, aber wirklich und wahrhaftig alles, für ihn aufgegeben haben: Haus, Heim, Familie, gesellschaftliche Stellung u.v.m. Und diese Menschen stehen nun an einer Stelle in ihrem Leben, wo sie nachfragen müssen: hat sich das gelohnt? Ihre Überlegungen, sehr menschlich, führen dazu, dass sie eine ihren Vorstellungen angemessen erscheinender Belohnung verlangen. Letztlich haben sie etwas geleistet, und irgendwann möchte man doch auch Ergebnisse sehen oder zumindest die Zusage: Ihr werdet belohnt… Diese Situation ist keineswegs angenehm. Man kann sich gut vorstellen, dass diejenigen, die das miterlebt haben, ungeduldig geworden sind. Denn so oder so- dachten sie- kann Jesus diese Frage nicht richtig beantworten, denn egal, was die Antwort sein wird, es wird Leute geben, die sich darüber empören werden und vielleicht gar sagen würden: mit dem wollen wir gar nichts zu tun haben. So unangenehm die Situation auch gewesen sein mag, mit etwas haben die Leute sicherlich nicht gerechnet, dass nämlich die Antwort Jesu ganz anders ausfallen wird. Sie konnten gar nicht damit rechnen, denn ihre Situation hat ihren Blickwinkel bestimmt. Sie konnten nur an das denken, und nur das wahrnehmen, wozu sie im Stande waren. Die  Antwort Jesu weist aber auf eine andere Perspektive und auf eine andere Wirklichkeit hin. Ich weiss nicht, wie es nachher den  Zebbedäusjüngern ergangen ist.  Ich kann mir aber vorstellen, dass sie nicht allzu froh über diese Antwort waren. Sie haben etwas anderes erwartet. Sie waren vermutlich enttäuscht.  Doch, was ist es, was in der Antwort Jesu dennoch als Zusage und Hoffnung durchkommt oder jedenfalls durchkommen sollte?

Ich denke, eine der ersten Sachen, die wir bei unserem Predigttext zu beachten haben, ist die Situation der Jünger. Sie sind in der Lage, alles auf  eine Karte gesetzt zu haben. Nun erleiden sie einen Rückschlag von der Seite, von wo sie gar nicht damit gerechnet haben. Eben der Meister, der Lehrer, weist sie zurück und noch dazu mit einem so undeutlichen Hinweis. Dies ist wahrlich nicht das, was man gerne erlebt. Die Worte des Evangeliums sind nüchtern, beinahe wie in einer Sachreportage in der Zeitung. Das, wovon hier berichtet wird, ist eine ernste Sache. Gerade in der Passionszeit sollen wir diese sachgerechte Ernsthaftigkeit des Evangeliums ernst nehmen und uns fragen: was geht hier eigentlich vor? Ich meine, sofern ich diese Geschichte richtig deute, dass es hier um einen Perspektivenwechsel geht. Menschen, die in einer Situation wie gefangen waren, werden darauf hingewiesen, dass es ausserhalb der momentanen Lebenssituation auch eine Zukunft gibt, eine Zukunft, die man nicht selber formt, sondern die einem geschenkt wird. So sehr es gut tut, dies zu hören, so schwer ist es in einer konkreten Situation, wie diese der Jünger, so etwas anzunehmen. Denn, menschlich, allzu menschlich ist das Bestreben, doch alles vorplanen zu können. Das Evangelium berichtet aber davon, dass wir nicht alles vorplanen können und fordert uns heraus, mit der neuen Situationen im Leben in diesem Sinne umzugehen. Ich denke, dass gerade dies so grossartig an Gott ist, dass er uns etwas zumutet und uns herausfordert. In unserem Predigttext ist die Richtung dieser Herausforderung mehr als deutlich: es geht darum, dass man lernt, anders zu sehen und dies nicht nur für einen Moment, sondern dauerhaft. Die Jünger Jesu sind in einer Welt aufgewachsen, wo sie eins ganz sicher gelernt haben: der, der auf dem Thron sitzt, hat die höchste Macht.  Wenn sie sich aber gut anstellen, dann können diejenigen an seiner Seite auch etwas, – und gar nicht wenig- von dieser Macht abbekommen. In ihrem Denken war diese Muster ganz tief verwurzelt. Sie dachten bei sich: wenn dies in der Welt so funktioniert, so wird es doch auch im Himmel so hergehen. Sie dachten: wenn schon die irdischen Mächte ein wenig von ihrem Glanz auf diejenigen, die ihnen nahestehen ausstrahlen, wieviel mehr wird es beim himmlischen König der Fall sein. So weit so gut. Aber ihre Rechnung ist nicht aufgegangen. Denn, Jesus konfrontiert sie und uns mit einer ganz anderen Wertvorstellung. Die Frage nach dem Dienen, oder  Herrschen gewinnt hier eine andere Schärfe. Das im Glanz der Macht und Machtausübung gefangene Leben des Menschen wird mit dem Beispiel der dienenden Liebe konfrontiert, so wie Jesus sie vorgelebt hat. Diese Forderung ist aber alles andere als  eine leichte oder gar schnell zu verwirkende Sache.

Ich meine, diese Geschichte lehrt uns viel über unser Leben. Vor allem stellt sie uns die Frage, was wir in unserem Leben als wichtig erachten. Welche Perspektive wollen wir annehmen?  Denn die eine Perspektive, die Sichtweise der Jünger, ist uns mehr als vertraut: es ist unser Leben, so wie wir es im Alltag leben. Ob wir es zugeben wollen oder nicht, wir leben in diversen Machtverhältnissen. Wir üben Macht aus über andere Menschen.  Andere Menschen üben Macht aus über uns. Diese Wechselseitigkeit der Machtausübung bestimmt unser Leben. Selbst in den intaktesten Beziehungen von uns geht es um Macht. Dies ist eine Tatsache. Es tut gut, dies zu wissen und sich bewusst zu machen. Bildlich könnte man es so formulieren: wer sich auf einen Perspektivewechsel einlässt, stellt sich nicht an die Seite des Thrones, d.h. nicht über den anderen Menschen, sondern er stellt sich neben ihn, so wie Jesus es uns gelehrt hat. Auch hier geht es um eine Macht. Denn, so frei zu sein, um sich neben den anderen Menschen zu stellen, das ist auch Macht, aber was für ein Unterschied. Die Macht der Liebe macht es möglich, dass wir dem anderen in Augenhöhe begegnen können. Jesus hat uns dieses Leben vorgelebt. Nun liegt es an uns, wie wir dies in unserem Leben verwirklichen wollen. Im Evangelium lesen wir nur über die Möglichkeit, die der Macht der Welt entgegengesetzt werden kann. Es liegt nun an uns, was wir mit dieser Information machen.

Natürlich ist dies ein gefährliches Unternehmen. Das macht uns das Leben Jesu klar und deutlich. Wer auf den eigenen Machtanspruch verzichtet, wird verletzbar.  Das macht diese Sache so schwer. Denn siegen wollen wir ja alle, aber  lernen, dass man dabei verletzbar wird,  ist das, was man nicht möchte.

Und dennoch, es bleibt keine andere Wahl: entweder folgt man dem Weg des königlichen Menschen Jesu von Nazareth und lernt dabei einen anderen Zugang zum Leben und zum Mitmenschen oder aber man beharrt weiterhin auf den eigenen Machtansprüchen und vermeidet die Verletzlichkeit, in dem man sich über andere Menschen stellt. Gott nimmt uns  ernst und respektiert uns so, dass er uns die Wahl lässt. Dies ist das, was ich in dieser Geschichte schön und zugleich befreiend finde. Ich habe die Wahl. Wir haben die Wahl, unser Leben so oder so zu gestalten… Doch, da muss man genau aufpassen, denn der von Jesus angebotene Perspektivenwechsel ist keineswegs ein schäbiger Handel mit Gott, sondern etwas, das man vielleicht am besten mit einem Dialog vergleichen könnte. Die Jünger von damals und die heutigen Zuhörer müssen dieses dialogische Leben lernen, sich darin üben, sofern wirklich ein Perspektivenwechsel des Lebens erfolgen soll. Und wenn dies geschieht, so ist die Frage, ob Dienen, oder Herrschen  längst nicht mehr aktuell. Wenn dies geschieht, gewinnt der Mensch eine neue Freiheit und darüber dürfen wir uns auch heute freuen.                 

Amen

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